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Von Marie Rathmann, Linda Jäck, Veronica Fodo, Paola Petrac, Ekaterina Chernyshova und Anastasia Pukha
Liebe Frau Kail, vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen für das Interview.
Mitunter weil Sie als Genderexpertin im Kompetenzzentrum für übergeordnete Stadtplanung arbeiten und sich mit dem Themenschwerpunkt „Smart City“ auseinandersetzen, würden wir Sie zuerst einmal fragen, welche Gender Equality Ziele die Smart City anstrebt.
Ein ganz wesentlicher Bereich ist die Lebensqualität. Bei Smart City geht es um klimatologische und ökologische Dinge, Innovation und Lebensqualität. Und gerade bei Lebensqualität geht es darum, die Lebensqualität für alle im Auge zu haben. Da ist es wichtig sich vor Augen zu halten, dass unterschiedliche Gruppen verschiedene Bedürfnisse haben. Im Sinne dieses Gender Plus Konzeptes geht es nicht nur um soziale Rollen, bezahlte und unbezahlte Arbeit, sondern um kulturelle und soziale Hintergründe und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Die Stadtplanung war lange männlich geprägt. Wir müssen jetzt aufpassen, dass das bei dem Smart City Thema nicht wieder passiert, sondern dass ein Gleichgewicht der Interessenslagen und bei den unterschiedlichen Zugängen besteht. So ist es auch sehr wichtig, die Smart City unter dem Genderaspekt zu betrachten.
Smart Cities zeichnen sich allgemein durch eine sehr organisierte Infrastruktur aus. Die polyzentrische Stadtplanung wird oft als Konzept genutzt. Sie soll Quartiersbildung mit unmittelbar nahen Angeboten gewährleisten und gewährleisten, dass Versorgungsaufgaben von jedem Mann und jeder Frau ohne großen Zeitaufwand, also zu Fuß oder mit Rad, erreicht werden können.
Welche Vorteile hat die Stadt der kurzen Wege mit polyzentrischer Struktur noch?
Beim Zeitaufwand haben Sie erwähnt, dass es in einem komplexen Alltagsgefüge ein wesentlicher Vorteil ist, kurze Wege zu haben. Zum anderen beeinflusst es es die Verkehrsmittelwahl: je kürzer die Wege sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich etwas zu Fuß oder mit dem Rad erledige. Das ist ein wesentlicher Beitrag zu Klimaschutz. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich damit belebte, urbane Stadtstrukturen schaffe und ein vielfältiges Angebot entsteht.
Gibt es Einrichtungen, die essentiell sind für das Zentrum oder die Zentren einer Stadt unter dem Aspekt der Smart City, die von der Stadt oder Gemeinschaften gewährleistet werden?
Was mir jetzt spontan einfällt, ist einerseits das Thema Verkehr und andererseits die Technologiefrage in der Mobilität. So waren beispielsweise die E-Scooter vor 5 Jahren noch kein Thema und stellen jetzt ein massives Problem dar. <Fehlende Abstellmöglichkeitenin der Parkspur führen zum „wilden“Abstellen am Gehsteig un sind dann eine große Stolpergefahr für blinde Personen. Auch das Fahren auf Gehsteigen oder ohne Helm sind problematisch. Wien ist ja eine historisch dichte Stadt, da ist der Platzbedarf von neuen Fortbewegungsmitteln nicht bedacht worden und es gibt dafür auch wenig Spielraum.. Keiner kann wirklich sagen, wo wir in 15 Jahren bei der Mobilität im städtischen Raum stehen werden, welche Verkehrsarten dann welche Räume beanspruchen und mit welchen Geschwidigkeiten unterwegs sein werden. iInsofern ist es ganz wichtig, dass die Stadt einerseits Rahmenbedingungen für E-Scootern schafft und regulierend eingreift und andererseits auch andere Angebote schafft in der Nachbarschaft, beispielsweise Leihfahrräder und -autos.
Das andere Thema ist die Anpassung an den Klimawandel und die Rolle der Grünräume. Das Schwammstadtprinzip* ist etwas ganz Spannendes, weil wir jetzt schon das Problem haben, dass jungen Bäume nicht hochkommen. Wien wird bis 2050 das Klima von Doha, die Hauptstadt von Katar haben, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher. Für unsere Vegetation bedeutet das enormen Stress. Das Schwammstadtprinzip ist die wirksamste und ökologisch sinnvollste Maßnahme, die Hitze in der Stadt zu bekämpfen. Eine weitere Maßnahme ist das Thema Fassadenbegrünung, hier stellen sich auch Fragenwie hoch lasse ich welche Pflanze an der Fassade wachsen und was heißt das dann für den Brandumschlag? Zudem Brandschutz ein ganz wichtiges Thema in Wien ist. So muss man lösungsorientiert arbeiten, Fassaden probeweise abfackeln, um zu schauen, wie das mit dem Brandumschlag funktioniert. Ich glaube, dass es wichtig ist, bei der Smart City, sich auch mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen.
Um das jetzt auf die Seestadt zu beziehen – inwieweit ist diese als eigenständiges Quartier mit selbstständigem Zentrum im Kontext der Stadt Wien zu betrachten?
Erstens einmal, wird das Prinzip Schwammstadt in der Seestadt ausprobiert. Die Seestadt spielt unter Smart City Aspekten da eine ganz wichtige Rolle. Sie ist der Prototyp einer Stadtentwicklung nicht „auf der grünen Wiese“, sondern eher „am grauen Flugfeld“ und ist mit 240 Hektar eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Das Projekt stellt eine wirkliche Stadt – Laborsituation dar, einerseits bezogen auf die Größe der Fläche und andererseits, da es eine Entwicklungsgesellschaft gibt, wo der Grundbesitz nur in einer Hand liegt und die die einzelnen Grundstücke dann als Bauplätze weiterverkauft . Normalerweise kann die Stadt ein urbanes Konzept mit Bebauungsplanen entwickeln, das dann die einzelne Grundstückseigentümer umsetzen und die Gestaltungsmacht der Stadt damit eher begrenzt und nur bis zu einem gewissen Level möglich ist. Bei der Seestadt war es so, dass die einzelnen Qualitäten – Kataloge für Baufelder entwickelt wurden, die dann bestandteil des Kaufvertrages waren und in vielen Themenbereichen hier sehr innovativ vorgegangen wurde. Zudem bemüht man sich leistbares Wohnen anzubieten.
*Schwammstadtprinzip: https://www.wien.gv.at/umwelt/cooleswien/schwammstadt.html
Der Fokus der neuen Begegnungszone in der Neubaugasse liegt unter anderem auf der Verkehrsberuhigung. Über welche Verkehrsmittel sollen dann Nahangebote wie Einzelhandel, Arbeitsausbildungsstätten und Freizeitangebote in Zukunft erreicht werden?
Den FußgängerInnen steht nach dem Umbau 13% Fläche mehr zu Verfügung, als vorher. Eine Klammerbemerkung: das einzige, das bei niveaugleicher Ausgestaltung wirklich schwierig ist, ist das Thema der blinden Personen, da diese oft die Gehsteigkante als Orientierung benötigen. Für den Radverkehr wird es eine durchgehende Route geben und die neue Busführung schafft klare Anbindungen.. Für den Autoverkehr ist es so, dass man in der Begegnungszone nur mit 20 km/h fahren darf und viele Stellplätze weg sind. Die naheliegenden Garagen bieten jedoch vergünstigte Tarife für AutofahrerInnen an. Das klassische Autobenutzen hat aber sicher geringeren Komfort als vorher, dies ist aber mit dem positiven Einfluss auf Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gut argumentierbar..
Unsere zweite Thematik lautet „Lebendige Erdgeschosse und der Kampf gegen das Aussterben der Geschäftslokale als Strategie gegen Angsträume“.
Viele Großstädte in Europa sind zunehmend von Lehrstand und Unternutzung von Erdgeschosszonen betroffen. Was bedeutet das für das Aussterben für Erdgeschossgeschäftslokalen und wir wirkt sich diese Problematik auf die betroffenen Bezirke aus?
Das ist sicher ein großes Thema. Der lokale Einzelhandel kommt von zwei Seiten unter Druck: einerseits durch Einkaufszentren und Shopping Malls, wo es darum geht, welches Stück des Konsumkuchens welcher Handelstyp abbekommt. Und das sind sicher die Shopping Malls, die zu einer Schwächung der Einkaufsstraßen geführt haben. Andererseits ist es auch der Online Handel, der stark zunimmt. Das führt ebenfalls zu geringerer Attraktivität von Grätzln, da Einkaufsstraßen ein wichtiger Teil der Grätzlidentität und der Bezirksidentität sind.
Und inwieweit kann man den Umbau der Neubaugasse als Präventivmaßnahme gegen das Aussterben von Erdgeschossgeschäftslokalen sehen?
Die Neubaugasse ist sicher ein Beispiel, wie die Geschäftsstruktur dort durch die Verkehrsberuhigungstärker wird und kaum unter Schwierigkeiten leidet. Hier gibt es ein attraktives Angebot inklusive eines gehobenem Einkaufssegmentes. Schwierig könnten woanders die raschen Besitzerwechsel der lokalen Cafés sein, die eine negative Spirale in Gang setzen: die Straßen werden unattraktiver und weniger Frequenz heißt weniger Kunden. Aber die Neubaugasse hat vorher floriert und sie wird jetzt sicher noch stärker florieren.
Den folgenden Themenblock würden wir gerne bezüglich Gender Equality erschließen.
Angsträume für Frauen, aber auch für Männer, können mit dem Aussterben von Geschäftslokalen in Verbindung gebracht werden. Bei Leerstand bleibt die soziale Überwachung aus und der öffentliche Raum wird gemieden. Welche Konzepte und Strategien in der Stadtplanung gibt es, um Angsträume zu vermeiden?
Es liegt auf der Städtebauebene, dass man versuchen sollte, ein möglichst logisches Wegenetz zu bauen und Haltestellen von Öffis möglichst mit klaren Zuwege zu versehen. Damit kann mehr Frequenz erzeugt werden und je mehr Frequenz es gibt, desto sicherer fühle ich mich beim Gehen.
Auch durch Orientierung der Wohnungen kann man Angsträumen vorbeugen, beispielsweise wenn Aufenthaltsräume auf die Straße orientiert sind. Wenn lauter Autoverkehr vorhanden ist, reagieren die Architekten oft damit, dass sie die Siegenhäuser und Erschließungsgänge dort anordnen, sodass alle Häuser weg von der Straße orientiert sind. Das ist insofern ein Problem, da damit die soziale Kontrolle wegfällt.
Bei den Geschäften ist es ein bisschen zwiespältig: untertags ist es sehr belebt, abends fällt die soziale Kontrolle vom Erdgeschoss aus weg. Es gibt außerdem viele unterstützende architektonische Details und Maßnahmen in der Beleuchtungstechnik. So soll die Beleuchtung im Straßenraum so gut sein, dass ich bei jemanden, der entgegenkommt, das Gesichts zumindest auf vier Meter Entfernung erkennen kann und das mir eine gewissen Reaktionszeit einräumt. Auch in der Gestaltung steckt viel Potenzial; dass es keine versteckten Hauseingänge gibt und potenzielle Versteckmöglichkeiten vermieden werden. Es geht also darum, dass Straßenräume übersichtlich gestaltet sind.
Jetzt kommen wir zur dritten Thematik: Straßennamen in der Seestadt Aspern.
War es schon in der Planungsphase bekannt, dass dieser Stadtteil weiblich werden soll?
Soweit ich in den historischen Verlauf Einblick habe, ist das entstanden, während das Straßennetz festgelegt wurde. Außerdem gab es bei der 3420 AG Stadtentwicklungsgesellschaft eine doppelte Geschäftsführung, einen Mann und eine sehr engagierte junge Frau, die in der ersten Planungsphase mitgewirkt hat. Von ihr stammt auch dieser Anstoß, weil es so ein Ungleichgewicht in Wien gibt mit 94% Männernamen und 6 % Frauennamen. Hier einfach andersherum. Es gibt eine Ausnahme: der Nelson-Mandela-Platz wurde nach einem Mann benannt,, aber sonst wurde mit den weiblichen Straßennamen ein ganz wichtiges Signal gesetzt.
Inwieweit denken Sie, kann die Wohnadresse zu mehr Toleranz bezüglich Gender Mainstreaming führen, insbesondere bei Männern, die in einer Straße wohnen, die nach einer Frau benannt ist?
Ich glaube, es wäre total interessant, hier über empirische Daten zu verfügen. Ich habe das Gefühl, dass diese Symbolkraft oft belächelt wird. Beispiele sind die Debatte um die fehlenden Schwestern in der Bundeshymne und der Ausdruck „Genderwahn“, welches in Boulevardmedien rauf und runter gespielt wird.Sprache kann wirklich Bewusstsein schaffen. Ich weiß nicht, wie weit Männer toleranter werden, aber ich mutmaße, ein Teil – ja, die, die schon offen sind. Es kann aber durchaus sein, dass es bei einem bestimmten Männertyp zu einer Verhärtung kommt, wenn er in einer „Weiberstadt“ wohnen muss.
Gerade für Schulkinder und Jugendliche ist es ein ganz wichtiges Signal, wenn es völlig selbstverständlich ist, dass man in Umgebung von vielen bekannten und beeindruckenden Frauen lebt. Sie lernen in der Schule darüber und führen Theaterstücke auf über die Biografien dieser Frauen. Ich glaube, dass da ganz viel weitergegeben wird an Rollenverständnis und Wissen darüber, wie viel tolle und initiative Frauen es in der Vergangenheit gab.
Glauben Sie, dass sich die Straßennamen in der Innenstadt im Nachhinein geändert werden?
Da ist immer das Argument, dass das schon schwierig ist. Also erstens einmal in der historischen Nachvollziehbarkeit und Zuordnung. Oft sind Straßennamen eingeprägt im Gedächtnis einer Stadt und in historischen Untersuchungen. Das andere ist wirklich die praktische Orientierung und der Aufwand, die Hälfte der Straßen umbenennnen zu müssen. Da gibt’s ein Zielkonflikt zwischen der praktischen Benutzbarkeit, der eingeübten Praxis und dem Ausgewogenheitsprinzip.
Gibt es in der Seestadt ein bestimmtes Schema, nach welchem Möglichkeiten für die Stadtnamen ausgewählt werden?
Es gibt einen Planungsbeirat, der auch die Namensvorschläge macht,die Frauen aussucht. Ich wurde auch gefragt, ob ich unter Planerinnen und Architektinnen Namen nennen könnte. Das wird sehr sorgfältig nach verschiedenen Kategorien ausgewählt.
Und wenn Sie eine Person nominieren könnten für einen Straßennamen, wer wäre das
Margarete Schütte-Lihotzky. Die war eine tolle Frau! (lacht)
Vielen Dank!