Wiener Linien unter der Lupe: Ein Interview mit Franz Broneder

Von Lara Hocek und Linda Bräuer

„Bitte, wenn Sie Hilfe brauchen, nehmen Sie die Notsprechstelle, und nicht das Handy.“

Franz Broneder ist 49 Jahre alt und hat während seiner 32 Jahre bei den Wiener Linien viele Abteilungen durchwandert. Vom Straßenbahnfahrer zum Schwarzkappler bis zu seiner heutigen Position als Fachbereichsleiter für Prävention. Für präventive und sicherheitsrelevante Themen ist er seit der Abteilungsgründung 2008 zuständig. Was vor zwölf Jahren mit Ein-Mann Vorträgen an Schulen anfing, ist heute ein zehn-köpfiges Team, das Frauen, Kinder, Eltern und Senioren über vorhandene Sicherheitseinrichtungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln aufklärt.

Welche Sicherheitseinrichtungen gibt es und wie funktionieren sie?

Sowohl am Bahnsteig als auch in den Straßenbahnen gibt es die Notsprechstelle und den Notstopp. Benützt man die Notsprechstelle im Zug, wird eine direkte Sprechverbindung zum Fahrer hergestellt. Mit diesem kommuniziert man über den kleinen Lautsprecher direkt bei der Notsprechstelle. Es hört also nicht die gesamte U-Bahn mit. Je nachdem, welcher Notfall vorliegt, kann der Fahrer noch während der Fahrt die nötigen Behörden alarmieren (Polizei, Rettung oder Feuerwehr). Verwendet man jene am Bahnsteig, wird in der 24h-Leitstelle die Videoübertragung auf dem befindlichen Gleis vergrößert und man spricht mit der Person, die vor diesem Bildschirm sitzt. Diese kann sich dann ein Bild von der Situation machen und Helfer in Form von Stationsaufsicht, Rettung, Polizei oder Feuerwehr schicken.

Zieht man den Notstopp in einer U-Bahn außerhalb einer Station, bleibt diese in der nächsten Station stehen, bis der Vorfall geklärt wurde. Befindet sich die U-Bahn noch in der Station, fährt diese gar nicht erst los. Betätigt man den Notstopp am Bahnsteig, weil beispielsweise jemand auf die Gleise gefallen ist, wird der Zug zwangsgebremst. Das bedeutet, dass er innerhalb von 80m zum Stillstand kommt, und dort verweilt, bis auch dieser Notfall geklärt wurde.

Hier ein Auszug aus dem Interview mit Franz Broneder zu den Sicherheitsmaßnahmen der Wiener Linien:

Sie halten oft Vorträge an Schulen. Haben Sie das Gefühl, dass diese Ihren Zweck erfüllen?

Auf jeden Fall! Vor zwölf Jahren hat noch niemand von den Notrufeinrichtungen gewusst. Dafür, dass wir ein Team von 10 Leuten sind, haben wir laut Statistik im Jahr 2018 70.600 Menschen erreicht. Von sechs bis 100 Jahre ist alles vertreten. Man trifft uns auf Messen, Großveranstaltungen, bei Schulungen oder eben Vorträgen.

Eltern haben immer Angst um ihr Kind. Am liebsten hätten sie, dass wir gleich alles umbauen. Jetzt muss ich mir das zuerst einmal anschauen. Zum Beispiel die Verlängerung der Linie 26 damals in der Prinzgasse. Da hatten wir eine Volkschule und eine Neue Mittelschule. In diesem Bereich war es so, dass die Kinder bis dato noch nie eine Straßenbahn gesehen haben. Das Straßenbahngleis hat elf Meter nach Ausgang des Schultors begonnen. Wir sind dann dort hin gegangen, ich habe mir das angeschaut, und wir sind dann gemeinsam mit der Polizei in die Schule gegangen. Mit den VolkschülerInnen sind wir direkt zur Haltestelle marschiert, haben ‚learning by doing‘ gemacht, und die NMS hat vorsichtshalber Vorträge bekommen. Das ist jetzt 5 Jahre her. Wir hatten dort noch keinen Vorfall.

Was tun Sie, um die Menschen im Alltag zu erreichen?

Ein Bild, das Personen, drinnen sitzend, und einen Tisch enthält.

Wir wissen ja, dass alle tagtäglich überall das Handy nutzen. YouTube ist mittlerweile ein fixer Bestandteil, ohne den geht’s gar nicht. Jetzt habe ich mir gedacht, ich muss etwas machen, wo ich vor allem auch die Jungen nach dem Vortrag erreiche, und habe begonnen, Kurzfilme zu erstellen. Diese dauern 45 Sekunden mit ein wenig Action, aber auch mit einer Geschichte, und etwas, womit ich es mir merke. Zwölf solche Filme haben wir in zweieinhalb Jahren produziert und haben 32 Mio. Klicks erreicht.

Da sehe ich den Bedarf, und wir merken es, weil der Notruf öfter verwendet wird. Gottseidank, da die Zivilcourage sich wirklich hebt. Wir merken es auch in den Verhaltensmustern der Jugendlichen. Prävention kann ich nicht wirklich messen, außer bei den Wiener Linien, weil wir über alles eine Statistik führen. 

Wird oft von den Notstopp-Einrichtungen Gebrauch gemacht bzw. wie nutzt man sie richtig?

Sie werden sehr viel verwendet. Unser Spruch ist: Im Zweifelsfall ist es ein Notfall. Oft kommt die Frage, wann darf ich denn ziehen, wann ist es ein Notfall? Wenn es für Sie jetzt gerade ein Notfall ist, ist es ein Notfall. Ein Beispiel: Sie steigen Samstagnacht alleine in die U-Bahn ein und da sitzen zwei Männer. Wie verhalte ich mich richtig, dass ich mein subjektives Sicherheitsgefühl hebe? Ich stelle mich IMMER zum Zugnotstopp, weil dort eine Notsprechstelle ist. Wenn Sie die betätigen, meldet sich der Fahrer. Der sagt: „Notruf, bitte sprechen Sie“ und Sie sagen „ich werde belästigt“. Der Fahrer kann dann während der Fahrt alles organisieren. Wenn der Zug in der nächsten Station ist, steht die Polizei schon da und wartet auf die Männer.

Der häufigste Grund, weshalb Frauen sich oft vor dem Gebrauch scheuen, ist Unwissenheit. Daher ist die Aufklärung so wichtig. Ich würde mich als Frau, egal, ob viele Leute da sind, oder nicht, IMMER zu einer SOS-Notrufsäule stellen. Warum? Ich habe den Zug-Notstopp dort und ich habe die Notsprechstelle. In dem Moment, wo Sie irgendetwas von dem betätigen, schaltet sich die Kamera in der Leitstelle der U-Bahn ein. Da sitzt jemand, der sogenannte 300er, der Chef vom Tag, vor einer meterhohen Wand voller Monitore, auf der 8.000 Kamerabilder übertragen werden. Da es schwer ist, bei 8.000 Bildern einen Vorfall zu erkennen, gibt es einen zusätzlichen Notrufbeauftragten. Dieser sitzt 24/7 bei einem Telefon. Wird die Notsprechstelle betätigt, geht bei ihm einer der vier Bildschirme auf, und er sieht, wo Sie sind. Sie brauchen nicht sagen, wo Sie sind, weil er sieht genau, was darunter steht, wie zum Bespiel Station Erdberg, Gleis 1, Fahrtrichtung Ottakring. Das wissen die meisten nicht und da ist es meine Aufgabe, Ihnen das mitzuteilen. Alleine durch diese Information wird das subjektive Sicherheitsgefühl angehoben und Sie fühlen sich wohler.

Bitte, wenn Sie Hilfe brauchen, nehmen Sie die Notsprechstelle und nicht das Handy. Warum? Wenn unsere Leitstelle die Polizei verständigt, ist das ein Prioritätsruf 1.

Hat die Zivilcourage-Kampagne das Handeln der Menschen nachhaltig beeinflusst?

Vor ca. 3 Jahren, vor Beginn der Kampagne, gab es einen Vorfall, bei dem ein Mann in einem Aufzug verstorben ist. Seitdem haben wir auch in den Aufzügen Kameras installiert. Darüber haben wir auch einen Kurzfilm gedreht: Ein Jugendlicher steigt in einen Aufzug und es wackelt ein offensichtlich betrunkener Mann daher und bricht zusammen. Der Jugendliche steigt aus und geht. Falsch. Runterdrücken und dort warten, bis die Einsatzkräfte da sind. Ich halte also die Türe offen, damit der Aufzug gesperrt ist. Dann kommt jemand von den Wiener Linien, eine Stationsaufsicht oder ein Revisor, dann kann ich gehen.

Ich kann nicht wegsehen und das ist das Problem. Ich muss wirklich sagen, die Kinder, angehenden Erwachsenen und Jugendliche sind gut darin. Wenn man es ihnen erklärt, machen sie es auch. Das Problem sind die Erwachsenen, weil sie es nie gelernt haben. Der Erwachsene denkt nach, was alles auf ihn zukommen kann, bevor er den Hebel drückt, und eigentlich kommt gar nichts auf ihn zu.

Sind Frauen häufiger in Vorfälle involviert als andere?

Hauptsächlich werden wir wegen Erkrankungen alarmiert. Übergriffe haben wir Gottseidank nicht. Gerade ältere Menschen und Frauen sind allerdings öfters betroffen. Vor allem bei Wetterumschwüngen wird oft um Hilfe gebeten. Im Vergleich zu anderen internationalen Verkehrsunternehmen sind die Wiener Linien weltweit eines der sichersten Verkehrsunternehmen. Wir sind mit allem ausgestattet, was man sich nur vorstellen kann. Noch sicherer würde ich es aus einem ganz gewissen Grund gar nicht machen: Wir Menschen neigen dazu, uns nicht mehr um etwas zu kümmern, wenn es jemanden gibt, der sich darum sorgt, dass etwas getan wird. Der Wiener ist das Urbeispiel dafür. Wir sind absolut sicher und hören jetzt auf, sonst entmündigen wir die Leute noch. Daher ist die Aufklärung das Wichtigste, da ich sie dadurch nicht entmündige, sondern ihnen lediglich die Werkzeuge zum korrekten Handeln in die Hand lege.

Welche Rolle spielt die Videoaufzeichnung bei der Aufklärung diverser Vorfälle?

Die Videoaufzeichnung spielt eine ganz wichtige Rolle bei uns in der Prävention. Wir suchen sehr viele Frauen auf, da sie häufiger und nachts in Notsituationen geraten. Da gibt es den Frauennotruf, mit dem wir auch zusammenarbeiten. Die Videoaufzeichnung ist ein heikler Punkt. Wenn eine Frau belästigt wird, dann muss sie auf die nächste Polizeiinspektion gehen und Anzeige erstatten. Denn ohne Anzeige bekommt die Polizei aus Datenschutzgründen kein Videomaterial von uns. Außerdem wird eine Aufzeichnung nur 48 Stunden gespeichert und dann überspielt. Das heißt, es sind 2 Tage Zeit, um eine Anzeige zu machen, geschieht dies nicht, ist die Aufnahme weg.

Wir bedanken uns herzlichst bei Herrn Broneder und seinem Team für Ihr Engagement und Ihre Antwortbereitschaft!

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